Am Geruch erkannte Max Sachs noch nichts. Der Oberbraumeister besaß zwar hinsichtlich der Düfte in der Brauerei die Nase eines Jagdhundes, doch die im Biersud eines Braukessels schwimmende männliche Leiche verbreitete keinen spezifischen Eigengeruch, zumindest im frühen Stadium noch nicht. Aber dass etwas nicht stimmte, das nahm der oberste Braumeister der Staatsbrauerei Rothaus dennoch wahr. An Braukessel Nummer drei von insgesamt sieben im weißgekachelten Sudhaus der Rothausbrauerei stand eine Luke einen Spalt breit offen. Auf diese Entfernung sah das nur ein geübtes Auge. Max Sachs sah es sofort. Max Sachs hatte seinen hopfengrünen Trenchcoat noch nicht abgelegt, noch nicht einmal die Instrumente und Messgeräte im Kontrollraum richtig in Augenschein genommen, da stach ihm beim Blick durch die frontbreite Glasscheibe hinunter in das Sudhaus schon diese merkwürdige optische Anomalie ins Auge. Zuerst war es nur eine Irritation im äußersten Augenwinkel. Aber jemand wie Max Sachs, seit mittlerweile mehr als 25 Jahren Hüter und Lordsiegelbewahrer der Rothaus-Braukunst in der höchstgelegenen Brauerei des Landes, war so eins mit dieser, seiner Brauerei, dass jede noch so unscheinbare Kleinigkeit, die anders aussah als gewohnt, ihm sofort auffiel. Insbesondere an einem Montagmorgen. Und insbesondere im Zentrum, im Herzen der Brauerei, in seinem ureigensten Reich, im Sudhaus. So schnell konnte Max Sachs nichts erschüttern. Wenn jemand Bierruhe verkörperte, dann er, der kastenbreite, joviale Franke, den eine Tageszeitung einmal als "gerstenblonden Gert Fröbe" beschrieben hat. Nur, und da kannte der Oberfranke dann keine Gemütsruhe mehr, es stimmte etwas nicht im Sudhaus. Von den Arbeitern war niemand in Sicht. Montagmorgen, Schichtbeginn. Aber es gab keinen Zweifel: Eine Luke an Kessel Nummer drei stand offen, gerade mal um wenige Millimeter, aber so, dass die Harmonie der kupferglänzenden Haube des Braukessels durch einen störenden dunklen Strich gestört wurde. Der Braumeister vergewisserte sich noch einmal mittels eines Blickes durch die Scheibe. Irgend einer der Arbeiter hatte geschlampt und die Luke nicht ordnungsgemäß verschlossen. Noch nicht sonderlich beunruhigt, aber doch um eine Nuance schneller als üblich, begab sich Max Sachs ins Sudhaus. Den Trenchcoat hatte er immer noch nicht abgelegt. In einem ersten Impuls wollte er die offenstehende Luke sogleich zuschieben und verriegeln. Dann besann er sich und schob sie über ihre ganze Breite auf, um einen Blick in den Kessel zu werfen. Und da sah er die Leiche. Sie dümpelte untergärig, ganz am Boden des Braukessels. Sie schimmerte als schwarzer Schatten durch den schaumigen Sud, so als befände sich ein verirrter Walfisch in diesen Gewässern. Dass es sich um eine Leiche handelte, erkannte Max Sachs keineswegs sofort, dazu war die Sudflüssigkeit zu trüb. Aber dass sich ein Fremdkörper von erheblichen Ausmaßen in der Sudpfanne befand, war ihm auf der Stelle klar.
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