Dunkle Gründerzeit
"Am 2. Januar 1926 Abends 8 Uhr fand die Gründung des Kanarienzucht- und Vogelschutzvereins Neustadt im Schwarzwald im Gasthaus zum Löwen, Nebenzimmer, statt." Mit diesem Eintrag beginnt das Protokollbuch des Schriftführers Friedrich Josef Quenett, welches von diesem am 6. Januar 1926 im Namen des Kanarienzucht- und Vogelschutzvereins Neustadt und Umgebung angelegt wurde. Dieses Protokollbuch gibt weiter bekannt, daß zehn Neustädter diesen Verein ins Leben gerufen und Josef Schlaich zum 1. Vorsitzenden gewählt haben. Man habe beschlossen, ein einmaliges Eintrittsgeld von fünfzig Reichsmark zu erheben, der jährliche Mitgliedsbeitrag wurde auf eine Mark festgesetzt.
So weit, so interessant. Die Protokollnotiz von Schriftführer Quenett hat nur einen Schönheitsfehler. Sie stimmt nicht. Wäre sie nämlich korrekt, dann dürfte der Kanarienzucht- und Vogelschutzverein Neustadt und Umgebung erst im Jahre 2001 sein 75jähriges Bestehen feiern. In Wirklichkeit war es so, daß 1926 nur eine Art Neugründung stattfand, die Geburtsstunde des Vereins aber bereits im Jahre 1922 schlug. Darauf gibt auch das oben zitierte Protokoll einen kurzen Hinweis, indem es am Schluß vermerkt: "Die eigentlichen Gründer des Vereins sind: Josef Schlaich, Friedrich J. Quenett, Karl Schuderer und Adolf Vogt."
Was hatte es genau damit auf sich? Es existiert ein "Contobuch Adolf Vogt" aus dem Jahre 1922, in welchem Bestellungen und Einkäufe für Kanarien- und Vogelzuchtfreunde aus Neustadt aufgelistet sind. Auf der Deckelinnenseite dieses "Contobuches" ist handschriftlich vermerkt: "Erstgründung im März 1922 durch Herrn Adolf Vogt". Darunter steht dann, in anderer Handschrift: "Wiedergründung im Februar 1923 im Gasthaus Waldhorn, Gründer Adolf Vogt und Josef Schlaich."
Dem Ganzen entnehmen wir, daß es offenbar mehrerer Anläufe gegeben haben muß, einen Kanarienzucht- und Vogelschutzverein in Neustadt zu gründen. Die Anfänge liegen aber ganz zweifelsfrei im Jahre 1922, wofür das erwähnte "Contobuch" auch als schriftlicher Beleg gelten darf. Alle frühen Anläufe zur Vereinsgründung, und schließlich auch die offizielle Gründung im Jahre 1926 sind eng mit den Namen Adolf Vogt und Josef Schlaich verbunden. Diese beiden Männer waren es auch, die das Vereinsleben für die nächsten zweieinhalb Jahrzehnte maßgeblich mitbestimmen sollten. Wenn es tatsächlich im Jahre 1926 zunächst nur zehn Vereinsmitglieder gegeben hat, so änderte sich dies schnell. Schon bei der ersten Vorstandssitzung, einen Monat nach der Vereinsgründung, notierte Schriftführer Quenett: "In der Zeit vom 2. Januar bis 7. Februar hat der Verein einen Zuwachs von zehn neuen Mitgliedern." Nach dem ersten Vereinsjahr sah die Bilanz noch erfreulicher aus, dann waren nämlich bereits 44 Mitglieder registriert. Allerdings gab es bis dahin auch schon erste Funktionärsturbulenzen. Der Kassierer war von seinem Posten zurückgetreten und die Frau des ersten Vorsitzenden mußte das Amt übernehmen. Auch der Schriftführer gab schon nach einem Jahr sein Amt ab. Nachfolger wurde Oskar Maier.
Mit was beschäftigte sich der Verein in seinen Anfangszeiten? Zunächst einmal mit dem Austausch von Erfahrungen und Kenntnissen bezüglich der Aufzucht von Kanarien- und Singvögeln. Dann mit der Beschaffung von Futter, Fußringen, Käfigen und Volieren, Fachliteratur etc. Ein Freiburger Vogelhändler entdeckte sogleich den neuen Markt und inserierte im Neustädter "Hochwächter" den Verkauf von Kanarienhähnen, "herrliche Sänger mit ersten und Ehrenpreisen prämiert, Hähne von 15 Mark an, prima Stammeszucht, Weibchen zu drei bis fünf Mark."
Erstes Großereignis im noch jungen Vereinsleben war im Januar 1927 die 1. Vogelschau im "Neustädter Hof", mit einer Christbaum- und Vogelverlosung. Das war eine derartige Attraktion für die Wälderstadt, daß sogar ein Eintritt von 30 Pfennigen erhoben werden konnte. Insgesamt wurden 76 Vögel ausgestellt, alles, was der junge Verein damals aufzubieten hatte, vor allem Kanarienvögel und Distelfinken, die beiden damals am häufigsten gezüchteten Arten.
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