Wie ein Kartoffelsack fiel das schwarze Paket vom Himmel und knallte fünf Meter vor dem Fahrzeug auf die Straße. Der Mann hinterm Lenkrad sah den schwarzen Schatten herunterfallen, stieg auf die Bremse und brachte sein Auto zum Stehen. Was war das gewesen? Es war finstere Nacht auf der B 31 im Höllental. Links und rechts säumten steile Felsen den Straßenrand und warfen Schatten wie Raubritter. Kein weiteres Auto in der Nähe. Marian Ziggl setzte den Warnblinker und öffnete vorsichtig die Autotür. Er schob sich das schulterlange Haar, das wie ein Vorhang herunterfiel, hinter die Ohren, um hinauszuspähen. Er sah aus wie eine Krähe, die um die Mülltonne lugt. Nichts zu sehen. Irgendwie war er über das rätselhafte Paket, das da vom Himmel gefallen war, hinübergebremst. Er musste aussteigen, um sich zu vergewissern. Marian Ziggl war kein ängstlicher Mensch. Als unerschrockener Pädagoge und ehrenamtlich engagiert in der Jugendarbeit und im Tierschutzverein, war er Zoff, Stress und heikle Situationen gewohnt. Aber hier, nachts kurz nach zwei Uhr, auf der gottverlassenen B 31, an der engsten Stelle des Höllentales, befiel ihn doch ein leichtes Schaudern. Im Scheinwerferlicht vor dem Fahrzeug konnte er nichts erkennen. Blick nach oben. Der Schatten der schwarzen Felsen hing bis über die Fahrbahn. Alles lag im dunkeln. Er ging nach hinten, um dort nachzusehen. In diesem Moment krachte ein Schuss durch die Nacht. Irgendwo hoch oben in den Felsen abgefeuert.
Das Höllental ist die meistdurchquerte Schlucht des Schwarzwaldes. Das liegt daran, dass man sie bequem mit dem Auto befahren kann, und zwar auf der Bundesstraße 31. Wesentlich schöner ist natürlich die Wutachschlucht. Sie hat aber den Nachteil, dass man dort zu Fuß gehen muss. Wer von Freiburg kommt, der hat, sobald er die tiefer gelegte vierspurige Trasse der B 31 hinter sich hat und bei Himmelreich wieder über dem Wiesenniveau auftaucht, eine abwechslungsreiche Fahrt vor sich. Linkerhand steht das Gasthaus Himmelreich. Die Hofkapelle stand früher auf der anderen Straßenseite, wurde aber in den 80er Jahren wegen einer Straßenverbreiterung zwangsumgesiedelt. Der Straße ist hier seit 1770 alles untergeordnet. Damals wurde die historische Höllentalstraße extra verbreitert und ausgebessert, weil 57 Wagen, 450 Zug- und Reitpferde und 257 Personen, nämlich der Brautzug der damals 15jährigen Erzherzogin von Österreich, Marie Antonia, durchs Höllental Richtung Paris reiste. Als Königin Marie Antoinette wurde sie während der Schreckensherrschaft der Revolution später umgebracht. Das ist eigentlich eine andere Geschichte, sei aber trotzdem hier kurz angeführt, um übermütigen Straßenbauern einen kleinen Schrecken einzujagen. Jedenfalls führt die B 31 auf ihrem weiteren Weg Richtung Höllental erst einmal durch den kleinen Ort Falkensteig, der seit Jahrzehnten deswegen jammert. Es ist der einzige Ort entlang der B 31 zwischen Freiburg und Donaueschingen, der keine Umfahrung oder Untertunnelung hat. Folglich hängen die Bewohner immer dringlichere Beschwörungen und immer drohendere Parolen an die Adresse der Politiker aus den Fenstern. Sie tun dies mit schwarzem Filzstift auf weißem Bettlaken. Nach acht Tagen an der frischen Luft kann man wegen der Abgase und des Straßenstaubs aber schon nichts mehr lesen. Für Marktforscher wäre deshalb die Ermittlung des durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauchs an Bettlaken in diesem Ort eine lohnende Studie. Der Ort Falkensteig hat sich den Namen von einer zerfallenen Burgruine geliehen. Die Reste dieser Burg kleben noch hoch oben auf den nicht weit entfernten Felsklippen am Eingang zum Höllental. Es handelt sich um eine Art historische Mautstelle. Hier hausten einst die Raubritter, die den Reisenden zwischen Freiburg und Hochschwarzwald alle Wertsachen abnahmen: Gold, Silber, Proviant, Pferde, die Frauen und am Schluss das Leben. Auf dem gegenüberliegenden Felsen steht seit über 100 Jahren auf halber Höhe die überlebensgroße Blechskulptur eines Hirsches. Vorher war an gleicher Stelle etwa 50 Jahre lang eine Hirschfigur aus Holz. Sie wurde 1856 von der Gemeinde Falkensteig aufgestellt, um an ein Ereignis zu erinnern, das noch mal einige hundert Jahre zurück liegt: Ein Ritter der Burg Falkensteig soll bei einer Jagd einen besonders stattlichen Hirsch angetroffen haben. Er verfolgte ihn stundenlang und als das erschöpfte Tier an dem hohen Felsen stand, setzte es zu einem letzten verzweifelten Sprung an. Es gelang dem Hirsch, die etwa 30 m breite Kluft zu überspringen und seinem Verfolger zu entkommen. Heute wäre so etwas natürlich nicht mehr denkbar. Erstens sind die Hirsche viel lascher als damals, zweitens ist die Schlucht viel breiter geworden, weil tapfere Ingenieure beim Bau der Höllentalbahn und beim Ausbau der B 31 Tonnen von Fels weggesprengt haben und drittens gibt es auch keine Jäger mehr, die stundenlang einen Hirsch verfolgen. Manchmal wird der Blechhirsch von lustigen Kletterern rot oder grün angemalt. Ansonsten aber hat er seine Ruhe. Er wird nicht einmal mehr fotografiert. Seit nämlich unten am Parkplatz der kleine Kiosk, den es dort jahrzehntelang gegeben hat, abmontiert wurde, haben Autofahrer keinen Anlass mehr, hier einen Stopp einzulegen....
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