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Für das populärwissenschaftliche Monats-Magazin "G-Geschichte" schreibe ich seit 1992 als freier Autor zu allen Themen der Weltgeschichte. Nachfolgend Beispiele für einige Artikel aus den Jahren 2010 und 2011:

Die Tet-Offensive

Die Tet-Offensive

Heft 8/2011

Amerika schlief noch, als am anderen Ende der Welt 80.000 kommunistische Vietcong-Guerilla am Morgen des 31. Januar 1968 alle wichtigen Städte in Südvietnam überfielen und in ihre Hand brachten. Der Schock war gewaltig. Und er öffnete den Amerikanern die Augen über den wahren Charakter des Vietnamkrieges

Mit dem Tet-Fest feiert Vietnam den Beginn des neuen Jahres und zugleich den Beginn des Frühlings-Neumondes. Im Jahr 1968 fiel dieses wichtigste vietnamesische Fest auf den 31. Januar und markierte den Auftakt für das „Jahr des Affen“, ein Jahr, in dem sich dem Mondkalender zufolge alles zum Guten wenden sollte. Die Soldaten der südvietnamesischen Armee verabschiedeten sich in den Heimaturlaub, denn jedermann wusste: Zum Tet-Fest herrscht Waffenruhe. Ähnlich wie beim Weihnachtsfest oder an Silvester in Europa, feiert man in Vietnam traditionell am Mondneujahrstag Tet ein Fest des Friedens, der Freude und der Familien.
Umso brutaler dann der Schock am Morgen des 31. Januar. Nahezu zeitgleich gegen 02:30 Uhr überfielen über 80.000 Vietcong-Guerrillas und einige tausend Soldaten der regulären nordvietnamesischen Armee über hundert der wichtigsten Städte im Süden des Landes und griffen dort vor allem die Einrichtungen der US-Armee an. Die Angreifer tauchten wie aus dem Nichts auf, sie kamen aus ihren Dschungelverstecken, aus ihren Erdhöhlen, aus ihren Rückzugslagern jenseits der Grenze, aber auch aus ihren Verstecken in den Städten und Dörfern. Für die US-Truppen und ihre Oberkommandierenden ein Supergau. Niemand hatte etwas geahnt, es gab keinerlei Vorwarnungen, die militärischen Nachrichtendienste hatten im Vorfeld nicht die geringsten Anzeichen eines drohenden Angriffs erspürt und vor allem: Niemand auf Seiten der Amerikaner hätte der Nationalen Befreiungsfront des Vietcong einen derartigen koordinierten Coup zugetraut. Der Feind wurde als schwach eingeschätzt und der Krieg bereits seit geraumer Zeit als nahezu gewonnen erklärt. Die Guerilla galten als Hinterhaltexperten, als Fallensteller und als Meister der militärischen Nadelstiche. Nicht aber als ernstzunehmende geschlossene Armee, die eine logistische Meisterleistung wie die Tet-Offensive zu koordinieren imstande war.
Vielleicht, wenn sie den Feind etwas weniger unterschätzt hätten, hätten bei den Amerikanern und ihren Verbündeten bereits zehn Tage zuvor die Alarmglocken läuten müssen. Am 21. Januar griffen zwei Infanteriedivisionen der nordvietnamesischen Armee Khe Sanh an, einen Stützpunkt der US-Marines nahe der entmilitarisierten Zone, die den Norden vom Süden Vietnams trennte. Washington ging in diese Falle, denn um eine solche handelte es sich, und entsandte 15.000 Mann Elitetruppen. Man fürchtete im Lager der Amerikaner eine ähnlich verheerende Einkesselung, wie sie 15 Jahre zuvor den Franzosen in Dien Bien Phu widerfahren war. Doch Vo Nguyen Giap, der Oberkommandierende der nordvietnamesischen Streitkräfte, der bereits in Dien Bien Puh die vietnamesischen Truppen befehligt hatte, hatte diesmal gar nicht die Absicht, den angegriffenen Stützpunkt einzukesseln. Sein Angriff zielte vielmehr darauf ab, möglichst viele US-Truppen und vor allem die Aufmerksamkeit des US-Militärs abzulenken von seinen eigentlichen Zielen: Den strategischen Zentren des Gegners im Süden.
Die Überraschung gelang. Binnen weniger Stunden fielen die Vietcong-Kämpfer in fünf der sechs größten Städte Südvietnams ein, in 36 Provinzhauptstädte und in weitere 64 Bezirkshauptstädte. Ein Selbstmordkommando drang in Saigon, der Hauptstadt des Südens, sogar bis auf das Gelände der amerikanischen Botschaft vor. Weitere Stoßtrupps griffen den Flughafen und den Präsidentenpalast an, und auch das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Saigon geriet unter Beschuss. Dort saß der US-Oberbefehlshaber General William Westmoreland und musste einer entsetzten amerikanischen Öffentlichkeit im Frühstücksfernsehen erklären, warum ihm die Raketen um die Ohren pfiffen. In der alten Kaiserstadt Hue besetzte der Vietcong alle wichtigen Gebäude und Einrichtungen und unterwarf die knapp 150.000 Einwohner einer mehrwöchigen blutigen Terrorherrschaft, in der Stadt Ben Tre verschanzten sich die Angreifer in Wohnvierteln und in den Geschäften im Zentrum.
Doch nach der ersten Schockstarre schlugen die US-Truppen wütend und mit all ihrer technischen, materiellen und personellen Überlegenheit zurück. Schon am nächsten Morgen starteten die Amerikaner die Rückeroberung, teilweise mit Bodentruppen, teilweise aber einfach nur mit der geballten Macht ihrer Bomber und Artillerie. Welche eine Strategie: Durch das flächendeckende Bombardement all jener Städte und Einrichtungen, in denen Vietcong-Kämpfer sich verschanzt hatten oder in denen sie vermutet wurden, verwandelte die US-Armee binnen weniger Tage große Teile Südvietnams in rauchende Trümmer. Legendär ist der Ausspruch eines amerikanischen Majors, der die Rückeroberung der Provinzhauptstadt Ben Tre erklärte: „Wir mussten die Stadt zerstören, um sie zu retten.“
Während der Tet-Offensive und der knapp vier Wochen dauernden Rückeroberung durch die Amerikaner starben etwa 15.000 Zivilisten, 20.000 weitere erlitten Verwundungen, mehr als 670.000 wurden obdachlos. Zeitweise befand sich die Hälfte der Landbevölkerung Südvietnams auf der Flucht. Am schlimmsten traf es die Einwohner der alten Kaiserstadt Hue. Dort hielten sich die Guerillaeinheiten des Vietcong nahezu einen Monat, bevor sie, zermürbt und dezimiert vom rücksichtslosen Artilleriebombardement der Amerikaner und Südvietnamesen, ihre Stellungen aufgaben. Bis es soweit war, übten sie einen grausamen Terror aus, säuberten die Stadt systematisch von der politischen und intellektuellen Elite. Fast 6000 Menschen fielen diesem Terror zum Opfer, sie wurden zu Tode geprügelt, gefoltert, hingerichtet, erschossen, stranguliert und bei lebendigem Leibe in Massengräber geworfen. Auch ausländische Ärzte, Journalisten und Lehrer wurden verschleppt, unter ihnen drei deutsche Ärzte und ein deutscher Orchesterdirigent.
Historiker, Politiker und Journalisten haben in der Folge heftig über die Frage gestritten, was den Tod von mehr Zivilisten zu verantworten hat: Exekutionen, Folter und gezielte Säuberungsaktionen durch den Vietcong, oder die Bombardierungen und der Artilleriebeschuss durch die US-Truppen. Dahinter steckte das Bemühen der US-Kriegs- und Nachkriegspropaganda, das eigene Agieren als die militärisch notwendige Strategie darzustellen, die Taten des Gegners als die inhumane Fratze des Kommunismus. Und schließlich gab es auf Seiten der US-Armee auch genug Gräuel und Terrorakte an der Zivilbevölkerung zu verbergen oder klein zu reden. Denn was verschiedene Einheiten der US-Marines im von ihnen so genannten „Indianerland“ anrichteten, also in den Provinzen südlich der entmilitarisierten Zone, wo der Vietcong seinen stärksten Rückhalt in der Zivilbevölkerung hatte, stand den Verbrechen der Guerillatruppen in nichts nach. Mit dem Auftrag, Vietcong-Infrastruktur zu zerstören und Vietcong-Funktionäre aufzuspüren, überfielen und durchkämmten US-Spezialkommandos die Dörfer. Dabei schreckten sie auch vor wahllosen Erschießungen, Vergewaltigungen, Folterungen und Brandschatzungen nicht zurück. Sinnbildlich für diese Entfesselung steht das Massaker von My Lay, bei dem GIs Anfang März mehr als 500 unschuldige Zivilisten umbrachten, darunter Säuglinge, Kinder und Greise.
In der rein militärischen Statistik verlor der Norden bei seiner wahnwitzigen Tet-Offensive fast 50.000 Mann. Er erlitt also eine katastrophale militärische Niederlage, von der er sich nicht wieder erholen sollte. Doch propagandistisch zahlte sich dieser enorme Blutzoll aus, denn der psychologische Effekt auf Seiten des Gegners wog diese Niederlage bei weitem wieder auf. Amerikas Glaube an die eigene Unbesiegbarkeit erlitt einen vernichtenden Schlag. In der amerikanischen Öffentlichkeit glaubte niemand mehr den Behauptungen der Militärs und Politiker, der Gegner sei so gut wie bezwungen und das Ende des Krieg nur noch eine Frage der Zeit. Vergebens schworen die US-Militärs, sie hätten die Lage völlig im Griff und bei der Tet-Offensive habe es sich um ein letztes Zucken der Kommunisten gehandelt. In den US-Wohnzimmern flimmerten Schreckensbilder auf den Fernsehschirmen, die das Gegenteil bewiesen. Schlagzeilen machten nicht die Verluste des Vietcong, sondern die Bilder einer scheinbar überrumpelten amerikanischen Streitmacht. Walter Cronkite, Amerikas bekanntester Nachrichtensprecher stöhnte entsetzt: „Was um alles in der Welt geht dort vor? Ich dachte, wir wären dabei, diesen Krieg zu gewinnen?“
Das Fernsehen zeigte die öffentliche, kaltblütige Hinrichtung eines gefangenen Vietcong-Soldaten durch einen hohen Polizeioffizier, ebenso wie die Beschießung der Bastion Khe Sanh durch nordvietnamesische Truppen. Das eine wie das andere Ereignis signalisierte: Amerika hat diesen Krieg nicht mehr im Griff! US-amerikanische Journalisten sprachen plötzlich von „the war“ und nicht mehr von „our war“. Nicht der Krieg an sich geriet in die Kritik, sondern die Militärs und ihre vermeintlich stümperhaften Strategien. Die Parole der Medien lautete: „Zieht ab oder siegt!“

Der Schwarze Tod

Der Schwarze Tod

Heft 11/2010

Djanibek Khan, der kriegerische Tartarenfürst schritt durch sein Feldlager, das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Tote, wohin er blickte. Die Leichen stapelten sich bereits auf den Ochsenkarren. Tapfere Krieger, die vor zwei Tagen noch kerngesund gewesen waren, krochen jammernd und stöhnend in ihre Felle, übersät von schwarzen Flecken, von eitrigen Beulen, Blut und Galle spuckend. Sie starben hinweg wie die Fliegen. Konnte es sein, dass diese verdammten Christen einen Fluch über ihre Belagerer verhängt hatten?

Seit fast drei Jahren belagerte Djanibek Khan mit seiner Horde nun schon Kaffa, diesen befestigten Handelshafen der Genuesen am Ostzipfel der Halbinsel Krim. Und jetzt, so kurz vor dem Fall der Festung, brachte der Himmel ein solches Unheil über sein Heer. Täglich starben Tausende an der unheilvollen Seuche. Bald würde man die Belagerung abbrechen müssen. Da kam dem Tartarenfürst ein dämonischer Gedanke: Wenn schon sein Heer dem Untergang geweiht war, dann sollten auch die Christen an der Seuche sterben. Von nun an banden die Tartaren ihre Leichen auf die Wurfmaschinen und ließen sie in die Stadt Kaffa hineinkatapultieren. „Sie sollen an dem Gestank zugrunde gehen“, fluchte Djanibek Khan. Bald stapelten sich im Innern der Festung die zertrümmerten und aufgedunsenen Körper der Toten zu wahren Bergen. Der junge Notar Gabriele de Mussis, einer der Eingeschlossenen in Kaffa, notierte in sein Tagebuch: „Wir können sie weder beiseite schaffen noch vor ihnen fliehen. Vor den herabstürzenden Leichnamen gibt es nur eine Rettung, wir müssen sie, soweit es möglich ist, in den Fluten des Meeres versenkten.“

Die Tragik liegt darin, dass es einigen der Belagerten tatsächlich gelang, mit ihren letzten Schiffen das Seuchennest zu verlassen. Schnurstracks schlugen sie den Kurs Richtung Heimat an, Richtung Genua – und ahnten nicht, dass sie damit das größte Unheil seit Menschengedenken nach Europa schleppten – die Pest, den schwarzen Tod.

Mit den letzten Überlebenden aus Kaffa traten auch infizierte Ratten die reise nach Italien an, den Pelz voller Flöhe, welche die Krankheit in sich trugen. Im Oktober 1347 erreichte die kleine Flotte den Hafen von Messina in Sizilien. Schon unterwegs hatte die Seuche die halbe Mannschaft dahingerafft. Der Rest trug zusammen mit den vierbeinigen blinden Passagieren die Krankheit auf die Insel, von wo sie sich binnen weniger Wochen über ganz Süditalien ausbreitete. Genua war bereits alarmiert und verweigerte den heimkehrenden Schiffen die Einfahrt in den Hafen. Doch die Seuche sprang von Korsika und Sardinien, wo die Kaffa-Schiffe ebenfalls Halt gemacht hatten, auf das Festland über. Von Genua aus „marschierte“ die Pest, obwohl wegen des Winters wenig Handelsverkehr herrschte, im Kutschentempo von acht Kilometern pro Tag landeinwärts. Im Januar 1848 verheerte sie Pisa und Venedig, im Februar Bologna und Modena, im März fiel sie über Padua her, dann über Siena, Parma und Trient, und im August hatte sie Rom erreicht. Für die Ausbreitung über ganz Europa brauchte die Pest knapp drei Jahre. Dann hatte sie Frankreich (1348), Spanien (1348), den Balkan (1348) England (1348/49), Schottland (1349), Irland (1349) und Skandinavien (1350) erreicht. 1349 hatte sie auch die Alpen überquert, „schob sich kriechend nach Kärnten vor, um dann heftigst in der Steiermark zu wüten“ (Chronik von Stift Neuberg) und nahm Basel, Wien, Südwestdeutschland und Ungarn (1350) in ihren Würgegriff. 1350 kam sie auch in Norddeutschland an.

Eine Seuche, die keinen Unterschied zwischen Arm und Reich machte. Es starben Alte, Junge, Schwangere, Kerngesunde und Gebrechliche. Auch ein gottgefälliges Leben nützte nichts. Priester und Mönche wurden dahingerafft wie jeder andere. Die Menschen des Mittelalters standen vor einem Rätsel. Die Bedrohung war umso schrecklicher, weil sie aus heiterem Himmel zu kommen schien und weil es nichts gab, was man wirkungsvoll gegen sie unternehmen konnte. Man vermutete eine Fäulnis des Wassers und der Luft als Ursache. Um diese Fäulnis zu vertreiben entzündeten die Menschen im Freien und in den Häusern Feuer, entfachten rauch mit Kräutern und Duftölen. Die Ärzte, Heiler und Quacksalber verschrieben Aderlasse, mixten Essenzen und traten nur in dicken Lederumhängen und mit Masken vermummt an die Krankenlager. Es half ihnen nichts, sie heilten keinen einzigen Patienten, statt dessen steckten sie sich selber an und starben ebenfalls. Der Kaiser von Konstantinopel, Johannes Kantakuzenos berichtete in seiner Chronik über den Krankheitsverlauf: „Wer aber zwei oder drei Tage überlebt hatte, wurde zunächst von einem heftigen Fieber und, nachdem die Seuche den Kopf befallen hatte, von einer Sprachstörung und Wahrnehmungstrübungen... befallen... Bei anderen schlug die Krankheit nicht auf den Kopf, sondern auf die Lungen und verursachte heftigste Brustschmerzen, Sie hatten einen blutigen Auswurf und einen merkwürdigen, übelriechenden Atem aus dem Körperinneren. Rache und Zunge waren von Hitze ausgetrocknet, zudem schwarz und blutig.... Über und unter dem Schultergelenk, bei einigen auch am Kiefergelenk... entstanden Ablagerungen... woraus schwarze Gebilde hervorwuchsen.... Alle aber, die solche Symptome entwickelten, starben auf dieselbe Weise.“ Kantakuzenos, ohne medizinisch bewandert zu sein, hatte treffsicher die Symptome und Krankheitsverläufe von Lungen- und Beulenpest unterschieden. Und kühl notierte er: „Die wenigen aber, die die Krankheit überlebten, wurden niemals ein zweites Mal von ihr heimgesucht...“

Französische Ärzte und Astrologen , die Mitglieder des Medizinalkollegiums zu Paris, fanden die Konstellation der Gestirne und außerdem meteorologische Besonderheiten als Erklärung für die Seuche, lagen aber völlig daneben in ihrer Prognose, das Übel werde binnen 17 Tagen weichen, weil dann ein reinigender Regen das Land von der Pest befreien werde. Auch ihre Empfehlungen, kein Geflügel und keine Wasservögel zu essen, schon gar nicht Ochsenfleisch, statt dessen aber „Brühen mit gestoßenem Pfeffer, Zimt und Spezereien“, erwiesen sich als absolut wirkungslos – ebenso wie sämtliche übrigen „Pestgutachten“ des 14. Jahrhunderts.

Im Zweiten Weltkrieg starben durch Kämpfe, Bombardement, Hungersnöte und Konzentrationslager etwa 4,5 Prozent der Bevölkerung Europas. Bei der großen Pest zwischen 1347 und 1351 traf es zwischen 30 bis 50 Prozent, Schätzungen reichen von 21 bis 25 Millionen Menschen. Von den rund 170 000 Dörfern in Deutschland wurden 40 000 komplett entvölkert und nie wieder besiedelt. Trotzdem blieben einige Städte und Regionen fast gänzlich verschont. So etwa Mailand, Lüttich, Teile Süddeutschlands, einige Pyrenäen-Regionen und – als einziges Land in Europa - ganz Polen.

Die Folgen der Pestepidemien für Europa waren gravierend. Neben der Entvölkerung ganzer Landschaften stehen die schockartigen Unterbrechungen aller regulären Wirtschaftsabläufe und kontinuierlichen Arbeits- und Dienstleistungsroutinen. Die Menschen, sofern sie nicht starben, ließen im wahrsten Sinne des Wortes alles „stehen und liegen“. Der Dichter Giovanni Boccaccia, der Chronist der Pest in Florenz beobachtete treffsicher: „Kein Mittel gegen die Seuche ist so wirksam und zuverlässig wie die Flucht.“ Bauern und Handwerker ließen die Arbeit liegen. Lebensmittel wurden knapp – Hungersnöte brachen aus. Die Handwerkszünfte öffneten sich für Handwerker aller Branchen und nutzten den Zusammenbruch, um Preise und Spielregeln zu diktieren, schlicht, um ihre politische Macht zu stärken. Den wenigen Überlebenden fielen teilweise gewaltige Erbschaften zu, der Reichtum wurde neu verteilt, eine völlige neue Oberschicht entstand. Gleichzeitig breitete sich ein Trend zu Genusssucht und zum Luxus aus. Kurzum: Die ganze überkommene Ordnung geriet durcheinander.

Zwei fatale Begleiterscheinungen der Pest waren die Geißlerbewegung und die Judenfeindlichkeit. Die Geißlerzüge, die es schon vor der Pest gegeben hatte, erfuhren großen Zulauf. Die Menschen pilgerten in diesen Zügen barfuss durch die Lande und geißelten sich mit Lederriemen und Ruten, in die Nadeln eingeflochten waren. Sie riefen zu Umkehr und Buße auf, aber sie suchten auch Sündenböcke. Diese fanden sie – in Übereinstimmung mit der allgemeinen „öffentlichen Meinung“ in den Juden. Schutz- und rechtlos, wie sie waren, fremd, suspekt, verdächtig, gaben die Juden des Mittelalters die idealen Schuldigen ab. Es kam zu Pogromen und Übergriffen jeder Art. Man beschuldigte sie, die Brunnen vergiftet und damit die Pest ausgelöst zu haben. Der Mob rottete sich zusammen, zündete die Häuser der Juden an, ließ die Menschen darin verbrennen und verteilte anschließend deren Habseligkeiten unter sich. Viele jüdischen Gemeinden in Mitteleuropa wurden in den Jahren 1347 bis 1351 regelrecht ausgerottet.

Die erste große Pestwelle ebbte 1351 wieder ab. Doch es folgten weitere, im Abstand von zehn bis 15 Jahren, zweieinhalb Jahrhunderte lang. Als 1720 wieder eine große Epidemie von Frankreich ihren Ausgang nahm, schotteten die Nachbarstaaten die Grenzen konsequent ab. Es war das einzig wirksame Mittel gegen die Krankheit. Österreich richtete an den Grenzen zur Türkei in jedem Grenzort eine Quarantänestation ein, wo Reisende bis zu 21 Tagen ausharren mussten.

Der Pesterreger selbst ist erst 1894 entdeckt worden und nach seinem Entdecker Alexandre Xersin benannt. 1921 ereignete sich noch einmal eine Pestepidemie in der Mandschurei, bis heute gilt die Pest noch nicht als endgültig ausgerottet.