Einleitung
Nein, die Geschichte der Menschheit muß nicht neu geschrieben werden. Sie muß bestenfalls neu gelesen werden. Das ist es, was dieses Buch zu bieten hat. Eine neue Lesart der Geschichte. Es liest sie sowieso jeder so, wie er es gerade braucht, könnte man einwenden. Wie anders kämen wir sonst zu den Regalkilometern von Geschichtsbüchern, die uns alle im Grunde genommen immer wieder daselbe erzählen, aber doch immer wieder anders. Darum geht es nicht. All diese Regalkilometer voller Geschichte sind sich im großen Kontext einig. Es gibt die erfolgreichen Schlachten, die großen Staatsmänner, die blühenden Kulturen, die Guten und die Bösen.
Aber waren die Guten wirklich die Guten und die Bösen wirklich die Bösen? Waren große Staatsmänner wirklich groß, oder hat man sie nur so dargestellt? War eine Schlacht wirklich erfolgreich, oder gab es nicht doch mehr Pyrrhussiege als die Sieger wahrhaben wollen?
Wie zum Beispiel die glorreiche Geschichte der DDR zu interpretieren sei, das las sich anno 1980 in einem Geschichtsbuch aus Ostberlin noch wesentlich anders als in einem Geschichtsbuch aus Westberlin. Für die einen war die DDR letzte Station vor der gerechten und seligmachenden Idealwelt, für die anderen ein marodes Pleitesystem mit stalinistischen Zügen. Man mußte nur einen Kilometer weiter Richtung Prenzlauer Berg wohnen, schon bekam man die Welt auf einem völlig anderen Tablett serviert als um die Ecke am Kuhdamm.
Inzwischen hat in diesem Fall die "Geschichte" selbst bestimmt, welche Lesart der Geschichte die Richtige ist. Fleißig werden die DDR-Geschichtsbücher durch den Reißwolf gedreht, zerschnipselt und in die Müllöfen gejagt. Die von ihnen jahrzehntelang verbreitete Lesart der Geschichte war halt leider - ein Irrtum, selbst wenn gelehrte Köpfe sie geschrieben haben. Und wie das so ist, ein ehemaliger DDR-Spion war ein böser Spion, ein ehemaliger BRD-Spion ist immer noch ein guter Spion. In diesen Punkten, wie in anderen, folgt sofort auf die Geschichtsschreiber die Justiz. Sie fällt im Geschlepp der historischen Großereignisse die entsprechenden Sieger-Urteile, und schon ist nicht nur Geschichte geschrieben, sondern sogar juristisch belegt.
Was lernen wir daraus? Hätte Sitting Bull 1890 die Schlacht am Wounded Knee gewonnen, die amerikanische Kavallerie verjagt, anschließend das gesamte Dakota-Territorium zurückerobert und einen eigenen Indianerstaat gegründet, wir könnten heutzutage wahrscheinlich Geschichtsbücher lesen, die uns eine etwas andere Version der amerikanischen Landnahme vermitteln würden, als jene, welche sich an den US-Highschools im amtlichen Umlauf befindet. Und selbstverständlich würde die Sitting Bull-Justiz auch eine andere Auffassung über die Gültigkeit jener Verträge haben, die damals weiße Siedler mit den Indianern geschlossen hatten, und von denen heute ganz Amerika nichts mehr wissen will.
Mit anderen Worten: Geschichte ist immer die Geschichte dessen, der sie erzählt. Das gilt nicht nur für die kleine Episode, wie zum Beispiel ein zweitrangiges Kavallerie-Massaker am Wounded Knee, das gilt so auch für die ganze Weltgeschichte. In unseren Breiten ist es vorwiegend die Geschichte vom Siegeszug des edlen, gebildeten und überlegenen Europäers. Raten Sie mal, wer sie geschrieben hat? Richtig: Der edle, gebildete und überlegene Europäer. Differenzen kommen nur insofern auf, als daß es auch unter den Europäern nochmals verschiedene Lesarten gibt, je nach Nationalität. So hüte sich der Engländer, eine Geschichte der Franzosen zu schreiben, ebenso wie es dem Spanier schlecht ansteht, die Geschichte der Briten niederzuschreiben, der Russe sollte die Finger vom Werdegang der Polen lassen, der Niederländer es nicht mit den Portugiesen versuchen, und Distanz ist auch zwischen Dänen und Schweden geboten. Die Deutschen sollten sich überhaupt von allem fernhalten. Man könnte sich über die richtige Auslegung bestimmter Sachverhalte und Ereignisse sonst vielleicht in die Haare geraten.
Nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe von historischen Ereignissen, die ihren Platz in der allgemeinen Menschheitsgeschichte derart unumstößlich eingenommen haben, daß weder die nationale Brille noch eine zufällig gerade dominierende Geistesströmung sie verrücken könnten. Wir meinen damit zum Beispiel ein Ereignis wie die "Entdeckung Amerikas". Er hat es nun mal entdeckt, Kolumbus, anno 1492, daran läßt sich nicht rütteln, ob man nun Marxist oder Kapitalist ist, Luxemburger oder Tibetaner, CDU-Mitglied oder Zeuge Jehovas. Gestritten wird höchstens, ob Kolumbus statt Genuese vielleicht doch Portugiese gewesen sei, oder Spanier, oder Luxemburger, aber das sind Nebensächlichkeiten, solange der Akt der Entdeckung Amerikas unbestritten bleibt. Mal abgesehen von der lästigen aber kaum mehr leugbaren Erkenntnis, daß es da auch noch diverse Wikingerfahrten weit vor Kolumbus gegeben hat, ist sich die Geschichtswissenschaft jedoch einig, daß es Kolumbus war, der Amerika für das moderne Europa entdeckt hat, daß dies eine Großtat war, daß Kolumbus ein kühner Kapitän war, und daß ihm deshalb ein Platz in der Ehrenloge der historischen Gestalten gebührt.
Kein Widerspruch?
Was, wenn nun einer kommt und sagt: Kolumbus war ein Trottel! Er hat alles falsch gemacht, was es falsch zu machen gab. Beweise siehe weiter hinten!
So wird es kommen, in diesem Buch. Und Kolumbus wird nicht der einzige bleiben. Er hat prominente Mannschaftskameraden, wenn es darum geht, die "Mannschaft der größten Idioten der Weltgeschichte" zusammenzustellen. Wir könnten Attila den Hunnenkönig dazutun, der sich in der Hochzeitsnacht übernahm, Kaiser Barbarossa, der die Regel "mit vollem Magen nicht ins Wasser" ignorierte, Widukind, den Sachsenkönig und Zwangschristen, Catilina, den erfolglosesten Verschwörer aller Zeiten, Kaiser Wilhelm zwo, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte, und wenn`s sein muß auch den Historiker Helmut Kohl (nur nicht als Spielführer).
Hier wird nämlich nicht gefragt: Was hat jemand historisch geleistet, sondern wie kam er dazu? Unter welchen Umständen? Hat Kolumbus Amerika entdeckt, weil er Amerika entdecken wollte? Von wegen! Von Amerika hatte er keine Ahnung. Er ist drangestolpert wie Helmut Kohl an die Deutsche Einheit. Glück? Dusel? Können? Man wird sehen!
Ähnlich verhält es sich mit Großereignissen oder dem, was wir für Großereignisse halten. Bei genauer Betrachtung entpuppen sie sich als ziemliche Flops, mißlungene Feldzüge, marode Staatsgebilde, gescheiterte Revolutionen, verpfuschte Bauwerke. Das alles ist irgendwo in den Regalkilometern, von denen oben die Rede war, verborgen. Man muß es nur aufstöbern. Und damit ist klar, was in diesem Buch geschieht: Dieses Buch begibt sich auf Spurensuche. Gesucht werden die größten Flops der Weltgeschichte und die größten Vollidioten der Weltgeschichte.