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1. Die Vereinsgründung in Neustadt

Was hat dieser großherzogliche Aufruf in Neustadt bewirkt? Der Frauenverein Neustadt feiert 2001 sein 125jähriges Bestehen und ist demnach nach allgemeiner Auffassung erst 1876 ins Leben getreten. Doch so ganz trifft das nicht zu. 1876 war bereits eine Neu- oder Wiedergründung. Einen ersten Anlauf gab es bereits direkt nach dem Aufruf der Großherzogin im Jahre 1859.
Der Historiker Detlef Herbner hat dazu im Stadtarchiv einige Quellen ausgewertet, die er in seiner offiziellen Stadtchronik jedoch nicht aufgenommen hat. Im Wesentlichen hat er Folgendes herausgefunden: Der Aufruf der Großherzogin wurde vom damaligen Bürgermeister Johann Baptist Fürderer aufgegriffen. Alle Frauen des Ortes wurden über öffentliche Bekanntmachung zur Wahl eines Vorstandes geladen, bei dem neun Frauen zum Vorstandskomitee und vier Männer zu Beiräten bestimmt werden sollten. Tatsächlich kam eine solche Gründungsversammlung zustande. Detlef Herbner spricht von einer „Kopfgeburt“, weil die gesamte Initiative stets in Händen des Rathauses blieb. Von dort wurden Einladungen und Schriften verschickt, die Kasse geführt, die Mitgliederlisten angelegt. Namen sind leider nicht mehr auszumachen, doch es scheint tatsächlich zu einer Vereinsgründung gekommen zu sein, denn in den im Stadtarchiv belegten Kassenberichten der Jahre 1859 bis 1865 tauchen Jahresüberschüsse von 140 bis 200 Florin auf. Was mit diesen erheblichen finanziellen Mitteln geschah, lässt sich leider nicht mehr rekonstruieren, wie überhaupt die Vereinsaktivitäten eher im Dunkel bleiben. Aus dem Jahre 1860 ist bekannt, dass der damalige Bezirks- und Krankenhausarzt Dr. Josef Winterhalder seine Bereitschaft erklärte, geeignete ledige Frauen zu Krankenwärterinnen auszubilden. Der Unterricht wurde auch mit zwei jungen Frauen aufgenommen.

Doch 1866 verliert sich die Spur dieses ersten Neustädter Frauenvereins. Ob und wie er aufgelöst wurde, ob er einfach nur mangels Mitglieder einging, ob der Vorstand auseinander fiel, oder der Bürgermeister das Interesse verlor, es lässt sich nicht mehr feststellen. Tatsache ist nur, dass zehn Jahre lang, bis 1876 in Neustadt kein Frauenverein mehr existierte.
Und als 1876 die Neugründung erfolgte, da wurde sie nicht von oben verordnet, vom Bürgermeister oder vom Bezirksamt, sondern sie kam von den Frauen selbst.
„An die Frauen und Jungfrauen Neustadt`s“ So lautete die Überschrift über einen Aufruf, mit dem am 10. Februar 1876 zur Gründung eines Frauenvereins in Neustadt eingeladen wurde. Dieses Gründungsvorhaben kam natürlich nicht aus heiterem Himmel. Davon zeugt schon die äußere Form des Aufrufs. Dieser Aufruf erschien vorgedruckt auf einer Art Flugblatt. Ob er in die Briefkästen gesteckt wurde, auf Veranstaltungen verteilt wurde, oder in der damals einzigen Zeitung der Stadt, dem „Hochwächter“ veröffentlicht wurde, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Ein Original-Exemplar dieses Aufrufes ist jedenfalls erhalten geblieben und ziert nun das Innendeckblatt des ebenfalls original erhaltenen Protokoll- und Kassenbuches von 1876.

So finden wir in diesem Aufruf bereits die Namen von mehreren Mitgliedern eines „Frauenverein-Comités“, obwohl der Verein noch gar nicht gegründet war. Die Erklärung könnte darin liegen, dass die namentlich aufgeführten Comité-Mitglieder möglicherweise bereits Mitglied im „Badischen Frauenverein“ waren, der als Wohltätigkeitsverein unter dem Protektorat der Großherzogin Luise immer noch Anstrengungen unternahm, in kleineren Städten und Gemeinden eigenständige Ortsvereine ins Leben zu rufen. Dafür spricht auch eine Formulierung in oben zitiertem Aufruf, in der es heißt: „Auf Anregung des bad. Frauenvereins sind die Unterzeichneten zusammengetreten, um auch in unserer Stadt die Frauen und Jungfrauen zu fruchtbarem Zusammenwirken auf dem großen Felde der Wohltätigkeit zu vereinigen und zu diesem Zwecke auch hier einen Frauenverein ins Leben zu rufen.“

Ehe wir uns näher mit den Namen der Comité-Mitglieder beschäftigen, lohnt sich der Blick auf die damalige Zeitumstände, ohne die die Gründung des Frauenvereins nicht verständlich wird. Im Jahre 1871 hatte sich das Deutsche Kaiserreich konstituiert, liberale Reformen setzten sich durch, der Einfluss des politischen Katholizismus geriet ins Wanken (Kulturkampf), die Industrialisierung schritt voran, die Verkehrserschließung auch abgelegener Regionen wie des Hochschwarzwaldes machte rasante Fortschritte. In einem weltabgeschiedenen Winkel, wie der Hochschwarzwald es war, brauchten Ideen und Moden vielleicht etwas länger, bis sie Fuß fassten, aber es ist augenscheinlich, dass auch die Wälderstadt damals im Umbruch stand und eine neue Zeit angebrochen war. Ein merkbares Signal war die aufkommende Industrialisierung der Wälderstadt (Schraubenfabrik, Sägewerke, Papierfabrik), die einher ging, mit völlig neuen sozialen Lagen. Der oftmals zugezogene Industrie- und Fabrikarbeiter in engsten und hygienisch mangelhaften Wohnverhältnissen, Großfamilien ohne soziale Verankerung in der Nachbarschaft, eine völlig unzureichende ärztliche Versorgung (bis 1887 gab es nur einen Arzt für das ganze Amt Neustadt), fehlende Schulgebäude, eine mangelhafte Krankenhausversorgung – dies waren nur einige der äußeren Zeichen dieser Rückständigkeit. Die Stadt, die um 1850 noch bei 1750 Einwohner lag, bis 1900 aber auf 3200 Einwohner anwuchs, war mit ihrer sozialen Infrastruktur dieser Dynamik vorerst nicht gewachsen. Die Folge waren soziale Schieflagen, eine überdurchschnittlich hohe Kindersterblichkeit (27 von 100 Kindern starben im ersten Lebensjahr), Krankheiten, Verarmungstendenzen bei bestimmten Kreisen der Bevölkerung.
Wohltätigkeitsvereine, wie der Frauenverein einer werden sollte, waren im deutschen Vereinsleben zu jener Zeit eine etablierte Erscheinung . Der Verein war sowieso die neue Gesellschaftsform, mit deren Hilfe sich die damals fortschrittlich denkenden Menschen zutrauten, die wesentlichen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Probleme der Zeit zu lösen; noch weiter interpretiert: Der freie Verein war auch eine Möglichkeit, liberale Ideen zu verwirklichen. Der Liberalismus war damals die fortschrittlichsten Bewegung. Die Neugründung des Neustädter Frauenvereins war vielleicht deshalb erfolgreicher, als der erste Gründungsversuch, weil sie diesmal lokal motiviert war, sich an lokalen Nöten und Bedürfnissen orientierte, und nicht an fernen Schlachtfeldern.
Das Vereinswesen insgesamt gehörte zum deutschen Bürgertum, wenngleich es bei den Wohltätigkeitsvereinen noch in seiner segensreichsten Form daherkam.

Verbreitet waren Fortbildungsvereine (in Neustadt: Arbeiter- und Gesellenfortbildungsverein), Vereine zur kulturellen Erbauung (in Neustadt: Museumsgesellschaft, Männergesangverein, Stadtmusik), Männergesellschaften wie der Jagd, - und der Schützenverein, sowie als bis dato einziger Sportverein der Turnverein Neustadt. Es gab auch vor dem Frauenverein bereits einen weltlichen Verein mit caritativem Charakter, das war der „Schnupfverein“, der seine Vereinsgelder einmal jährlich zur Weihnachtszeit an Ortsarme verteilte. Seine Spuren verlieren sich allerdings zur Jahrhundertwende.
Ein gesellschaftspolitisches oder gar parteipolitisches Engagement war den Frauen jener Zeit von vorneherein verwehrt. Sie waren aber schon damals keineswegs nur die schmückenden Anhängsel ihrer Männer, sondern sie emanzipierten sich –speziell auf dem Lande – durch die Vereinnahmung bestimmter caritativer, wohltätiger und gesellschaftlicher Aufgaben. Im anfangs zitierten Aufruf zur Vereinsgründung heißt es bezeichnenderweise: „Die Pflege der Kinder, die Heranbildung der weiblichen Jugend, die Fürsorge für Arme und Kranke – sie bedürfen, um wahre Erfolge zu erzielen, der warmen und werkthätigen Mitwirkung der Frauen, in deren Natur es liegt, die Leiden Anderer besonders tief zu empfinden und die in erster Reihe berufen sind, das Elend in seiner vielartigen Gestaltung zu lindern.“
Es steckt also schon ein sehr bewusstes und traditionelles Frauenbild hinter dem Gründungsaufruf. Das wird noch deutlicher, wenn man sich die Statuten betrachtet, die in diesem Gründungsaufruf bereits fest formuliert waren, - sie entstammten fast identisch den Statuten des badischen Frauenvereins und lauteten wie folgt:
§.1. Zweck des Vereins ist die Fürsorge für Kinder- und Krankenpflege, für Armenunterstützung und Hilfeleistung bei Nothständen, sowie die Förderung der weiblichen Industrie. Der Verein ist ein Zweigverein des bad. Frauenvereins.

§.2. Mitglied des Vereins ist jede Frau und Jungfrau, welche sich zu einem monatlichen Beitrag von mindestens zehn Pfennigen verpflichtet.
§.3 Die Leitung der Geschäfte besorgt ein Comité von zwölf Frauen und Jungfrauen, welches aus seiner Mitte eine Vorsteherin wählt. Im Falle des Ausscheidens einzelner Comitémitglieder wählen die noch übrigen Comitémitglieder aus sämtlichen Vereinsmitgliedern den erforderlichen Ersatz.
§.4. Das Comité wählt aus geschäftskundigen Männern zwei Beiräthe und einen Cassier, welch letzterer auch die Geschäfte des Schriftführers zu besorgen hat.
§.5. Jeweils im Monat Dezember ist eine Generalversammlung zu berufen, bei welcher über die Vereinsthätigkeit während des abgelaufenen Jahres bericht zu erstatten und Rechnung abzulegen ist.
§. 6. Zur Änderung der Statuten ist ein Beschluß der Generalversammlung und die Zustimmung von mindestens einem Drittel sämtlicher Mitglieder erforderlich.
§.7. Bei Auflösung des Vereins fällt dessen Vermögen an das hiesige Krankenhaus.
Die erste Satzungsänderung erfolgte bereits 1879, darin ging es um das Prozedere der Vorstandswahl, eine weitere 1895, darin wurde das Verhältnis zum badischen Frauenverein definiert und die Auflösungsklausel neu gefasst.