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Warum 125jähriges Jubiläum?

Jeder weiß, daß Titisee-Neustadt, vormals nur Neustadt, im Jahr 2000 offiziell sein 725jähriges Bestehen feiern kann. Jeder weiß aber auch, daß die Stadt vermutlich erheblich älter ist. Es gibt nur leider keine schriftlichen Belege, die das beweisen könnten. Die früheste Urkunde markiert das Jahr 1275 als Neustädter Gründungsdatum, und daran hat sich der Historiker zu halten.
Müssen die Narren sich an solche Spielregeln auch halten? Da sie keine anderen haben, sind sie gut beraten, es zu tun. Und dementsprechend finden sie den frühesten Beleg für ihr organisiertes Wirken in Neustadt in einem Sitzungsprotokoll aus dem Jahre 1874. Das ist, wenn man sauber nachrechnet, im Jahre 1999 genau 125 Jahre her. Da hätten wir`s, das Jubiläum.
Freilich könnte jemand mit vielen guten Gründen einwenden, wenn die Stadt Neustadt um 1275 herum gegründet wurde, dann muß die hiesige Narretei mindestens ebenso alt sein, denn wo Menschen auf einem Haufen zusammenleben, da wimmelt es immer auch von Narren.

Jedenfalls hat es närrisches Brauchtum im Hochschwarzwald schon in ganz frühen Jahrhunderten gegeben. Immerhin dafür finden sich Urkunden, zum Beispiel eine aus dem fürstlichen Archiv in Donaueschingen, die in der Neustadt-Chronik von Pfarrer Göbel zitiert wird. Dort heißt es: "Wir gedenken daran, daß im Jahre 1607 für das fürstenbergische Gebiet ein Verbot der heidnischen Unsinnigkeiten bei der Fastnacht ergeht."

Dieser Urkundentext geht mit dem Begriff "Fastnacht" so selbstverständlich um, daß man getrost vermuten darf, es habe sich damals schon um einen althergebrachten Brauch gehandelt.
Daß der Brauch auch eifrig gepflegt wurde, entnehmen wir einer mit "hochfürstlich-fürstenbergischer höchster Genehmigung" erlassenen Ballordnung aus dem Jahre 1784, welche der "allhiesige Posthalter und Gastgeber" erhielt, bei dem es sich nur um den Adler-Post-Wirt gehandelt haben kann, das wäre damals Fidel Fischer aus der Gerbe gewesen, er war Postzapfer von 1782 bis 1788, wie wir wiederum aus der Göbel-Chronik abgeschrieben haben.
Also, was steht in dieser fastnächtlichen Ballordnung (damals hieß es Baalordnung) von 1784? Hochinteressant für uns Nachgeborene der Paragraph neun, der zuerst ins Auge sticht: "Im Redoutensaal (Tanzsaal) ist es verboten mit einem Seitengewehr zu erscheinen."
Darüberhinaus scheinen die Probleme keine wesentlich anderen gewesen zu sein, als sie die Fasnacht auch heute noch hat. So wird etwa vorgeschrieben, "...daß sich niemand unterfangen solle mit allzu gräßlicher, schreckbaren oder gar scandalosen und Ärgernis gebenden Kleidung zu erscheinen..." Weiterhin ist es "Vorschrift für jedes Mannsbild... sein Haupt zu bedecken und immerhin eine Maske auf dem Hut zu tragen."

Ein vorbildliches und bedauerlicherweise nicht bis in die heutige Zeit hinübergerettetes Narrenrecht ist in Paragraph sechs formuliert: "Maskierten dürfen die Masken nicht mit Gewalt vom Gesicht genommen werden, es sei denn von der Polizei."
Diese Ballordnung enthält noch weitere Köstlichkeiten, zum Beispiel eine "Musikordnung". Dort heißt es: "Der Ball wird jedesmal mit Spielungen der Menuetten auch mit denselben eine halbe Stunde lang continuiert, sofort eine halbe Stunde lang deutsche Tänze aufgespielt, nach Verfluß dieser Zeit aber eine Viertelstunde lang ausgeruht. Hierauf sollen insofern sich Liebhaber hierzu einfinden, eine halbe Stunde lang englische Tänze angefangen werden."
Alleine an einer solchen Ballordnung erkennt man, mit welchem eifrigen Ernst schon damals die Sache der Fasnet betrieben wurde, und daß die Tradition dieses Treibens doch bedeutend älter ist, als die organisierte Zunft, die nunmehr ihr 125jähriges Bestehen feiert.
Dafür gibt es noch weitere Beweise. Im Besitz der Zunft befindet sich die Kopie eines "Verkündungsblatt für das Großherzoglich Badische Bezirks Amt Bonndorf und die großherzoglichen Badischen Fürstlich Fürstenbergischen Bezirks-Ämter Neustadt und Stühlingen" (Original im Neustädter Stadtarchiv) mit zwei Fasnetanzeigen. Dort heißt es: "Ball-Anzeige: Am Sonntag den 26. d. M. ist im Gasthaus zum Hirschen Bürger-Ball und am Montag den 27. und Dienstag 28. ist Tanz-Musik, wozu hiermit einladet, j. Hoffmeyer, Hirschenwirth." Die zweite Anzeige lautet: "Tanzbelustigung. Im Gasthaus zur Sonne ist am Fasnachts-Dienstag den 28. d. M. Tanz-Musik, wozu ergebenst einladet, B. Herrmann, Sonnenwirth." Beide Anzeigen stammen aus dem Jahre 1843. Ähnliche Annoncen finden sich in Verkündungsblättern von 1844 und 1845.

Ebenfalls noch aus den Zeiten vor der Zunft stammen Hinweise, wonach es in Neustadt üblich war, sich als "Narrenpolizei" zu verkleiden, um die sogenannten Polizeisoldaten zu parodieren. es ging also schon damals gegen die Obrigkeit.

Aus mündlicher Überlieferung, leider gibt es darüber keine schriftlichen Belege, weiß man auch von einem schweren Unglück, das sich bei der Aufführung eines Fasnachtspiels "Die Schlacht bei Sedan" 1872 ereignete. Während der Erstürmung der Kirchenmauer im Rahmen dieses "vaterländischen Mottos" ereignete sich ein Unfall mit Todesfolge. Möglicherweise wäre sonst die Gründung einer Fasnetgesellschaft schon zwei Jahre früher erfolgt.